Polnische Teilungen

Polnische Teilungen
I
Pọlnische Teilungen,
 
die drei (1772, 1793, 1795) durch Russland, Preußen und Österreich erzwungenen Gebietsabtretungen Polens. Der wachsende Einfluss Russlands in Polen und sein erfolgreiches Vorgehen im Türkenkrieg 1768-74 sowie die Aussichten auf territoriale Kompensationen veranlassten Preußen und Österreich, sich an der 1. Polnischen Teilung (Vertrag vom 5. 8. 1772) zu beteiligen. Nach dieser Teilung, durch die Österreich weite Teile Rotreußens und Kleinpolens, Preußen das Ermland, das »Preußen königlichen polnischen Anteils« und den Netzedistrikt und Russland den Nordosten bis zu Düna und Dnjepr gewann, blieb Polen-Litauen noch ein lebensfähiger Staat.
 
Als Reaktion auf die in der polnischen Verfassung von 1791 eingeleiteten Staatsreformen intervenierten Russland und Preußen militärisch und schlossen am 23. 1. 1793 einen 2. Teilungsvertrag (2. Polnische Teilung), durch den das Gebiet östlich der Linie Dünaburg-Chocim an Russland und ganz Großpolen bis zur Pilica sowie Danzig und Thorn an Preußen fielen. Das verbleibende Staatsgebiet, ohne natürliche Grenzen und heterogen zusammengesetzt, konnte trotz seines noch großen Umfanges nicht mehr als Staat betrachtet werden.
 
Die Niederschlagung eines von T. Kościuszko geführten Aufstandes wurde mit der 3. Polnischen Teilung (Verträge vom 3. 1. und 24. 10. 1795) beendet, durch die Österreich das Land zwischen Pilica und Bug (»Westgalizien«), Preußen »Neuschlesien« an der oberen Warthe sowie »Neuostpreußen« und Russland das Gebiet bis an Bug und Memel erhielt. Damit hatte Russland rd. 475 000 km2, Österreich rd. 150 000 km2 und Preußen rd. 140 000 km2 erworben, und Polen war von der politischen Landkarte Europas getilgt.
 
Die durch den Wiener Kongress 1815 vollzogene Teilung des 1807 gebildeten Herzogtums Warschau wird gelegentlich als 4. Polnische Teilung, die Aufteilung Polens in Interessengebiete durch den Hitler-Stalin-Pakt (1939) als 5. Polnische Teilung bezeichnet.
 
 
Michael G. Müller: Die Teilungen Polens, 1772, 1793, 1795 (1984).
II
Polnische Teilungen
 
Nach der Wahl Stanislaus' II. August Poniatowski 1764 zum polnischen König unterbanden Russland und Preußen alle Reformbestrebungen und setzten die Beibehaltung der adelsständischen Verfassung durch. Im Zuge innerpolnischer Unruhen kamen Zarin Katharina II., Friedrich II. und Kaiser Joseph II. 1772 überein, eine seit dem 16. Jahrhundert bereits mehrfach diskutierte Teilung Polens vorzunehmen. Russland nahm die Wojewodschaften Polock, Vitebsk, Mstislav und Preußisch Livland in Besitz; Österreich annektierte als »Königreich Galizien und Lodomerien« weite Teile Kleinpolens und Rotreußens, während Preußen mit dem Erwerb von Königlich Preußen (ohne Danzig und Thorn) zwar nur den kleinsten Anteil, damit aber die strategisch und wirtschaftlich wichtige Landverbindung von Hinterpommern nach Ostpreußen erhielt. Der um ein Drittel verkleinerte Reststaat erwies sich mit seinen 527000 km2 und etwa sieben Millionen Einwohnern trotz ungünstiger Grenzziehung jedoch zunächst als lebensfähig.
 
Als sich die Polen auf dem Vierjährigen Reichstag 1791 eine moderne Verfassung gaben (die erste geschriebene Verfassung Europas), nahmen Russland und Preußen die Opposition konservativer Magnaten zum Anlass, militärisch zu intervenieren und am 23. Januar 1793 die zweite Teilung zu erzwingen. An Russland fielen die ruthenisch besiedelten Gebiete östlich einer Linie Dünaburg-Chocim, an Preußen Großpolen bis zur Pilica, das westliche Masowien und die Städte Danzig und Thorn. In dem auf 240000 km2 mit 3,5 Millionen Bewohnern reduzierten, nicht mehr lebensfähigen Reststaat brach im März 1794 ein Nationalaufstand aus, der nach Anfangserfolgen von russischen Truppen niedergeschlagen wurde.
 
Russland und Österreich trafen am 3. Januar 1795 eine Vereinbarung zur endgültigen Aufteilung Polens, der Preußen am 24. Oktober beitrat. Danach annektierte Russland die litauischen und ruthenischen Gebiete östlich von Njemen und Bug; Österreich bekam das restliche Kleinpolen bis zur Pilica und zum Bug mit Krakau; Preußen besetzte das restliche Masowien mit Warschau, Teile Podlachiens und Litauens. Stanislaus II. August musste am 25. November 1795 abdanken, die polnisch-litauische Adelsrepublik war mit der dritten Teilung von der politischen Landkarte Europas getilgt worden.
 
Das Bewusstsein, dass den Polen vor allem in der zweiten und dritten Teilung, für die es noch nicht einmal eine historische Begründung gab, bitteres Unrecht zugefügt worden sei und allein die ungezügelten Machtinteressen der Teilungsstaaten den Ausschlag gegeben hatten, war im restlichen Europa durchaus lebendig. Die polnische Frage stellte im 19. Jahrhundert nicht nur ein innerstaatliches Problem für die jeweilige Teilungsmacht dar, sondern beschäftigte häufig die große Politik der europäischen Kabinette.

Universal-Lexikon. 2012.

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